Mal wieder die „Bild“

Das Schmierblatt (ehemals)^[:] unter der Leitung von Julian Reichelt, der gerne jegliche journalistische Sorgfalt und auch jeglichen Anstand missen lässt^[:] und auch gerne mal seine Position nutzt, um Sex von Frauen aus dem Medienhaus zu bekommen^[:], hat wie immer einen Artikel reißerisch betitelt. Das ist erst mal für diese „Zeitung“ nichts Besonderes. Durch den stellvertretenden Generalsekretär der CSU, Aserbaidschan-Lobbyisten^[:] und notorischen Bildüberschriftleser, Florian Hahn, der auch für dieselbe im Bundestag sitzt, erfuhr die Überschrift eines Bild-Artikels ungeahnte Aufmerksamkeit und wurde schnell in den passenden, mit dem Inhalt des Artikels intellektuell stark überforderten Kreisen geteilt.

Endlich mal die wichtigen Dinge anpacken

Nun, was steckte dieses Mal hinter dem empörten Aufschrei der Konservativen und selbsternannten bürgerlichen Mitte? Frauen, die Autounfälle überleben möchten. Ja, richtig gelesen. Es wurde sich darüber empört, dass Frauen auch gerne Autounfälle überleben würden. Und das führt uns zum Kern des Problems: Das Wissenschaftspatriarchat.

Zweite Bürgermeisterin und Senatorin von Hamburg, Katharina Fegebank (Grüne) teilte auf Nachfrage der Bild mit: „In vielerlei Hinsicht ist der Mann für die Industrie noch immer das Maß aller Dinge. Das gilt für das Design von Autositzen, die für viele Frauen nicht gut geformt sind, unter anderem, weil ihre Beine und Arme meist kürzer sind. Genauso wie für unangenehme Sicherheitsgurte, die einigen in die Brust schneiden können, bis hin zu Airbags, die auf größere Menschen vermessen seien.“^[:] Daraus machte die Bild „Vize-Bürgermeisterin will Crashtest-Dummys gendern“^[:]

Crashtest-Dummys gendern? Ja, bitte!^[:]

Wäre der Schreihals Hahn mit dem Denken etwas geschickter oder würde gar statt Überschriften der Bild wirklich recherchieren, dann würde eventuell sogar er verstehen, dass der Hintergrund der Forderung mehr als nur ernst ist. Der Crashtest-Dummy, um den sich alles dreht, wiegt 78 Kilogramm und misst 1,75 Meter und kostet bis zu einer Million Dollar^[:].^[:] Mithilfe dieses Dummys wird jeder Crashtest für die Zulassung von Kfz in Europa durchgeführt. Der Dummy entspricht dabei in seiner Größe, seinem Gewicht und seiner Anatomie einem Durchschnittsmann. An entscheidenden Stellen wirken sich diese Unterschiede aus. So sind die Airbags, die Gurte, die Länge der Sitzflächen sowie die Positionen der Pedale und Hebel und Knöpfe auf den Durchschnittsmann ausgelegt.^[:] Manches davon mag nur einen Komfortunterschied machen, aber Tatsache ist auch, dass Frauen häufiger schwere oder gar tödliche Verletzungen bei Unfällen erleiden als Männer (und nein, Frauen fahren nicht schlechter Auto,^[:] siehe nachfolgende Grafik).^[:]

Ein Grundsatzproblem

Doch nicht nur Autos sind nicht auf Frauen ausgelegt, sondern auch viele andere Dinge sind hauptsächlich männlich geprägt. Die Liste ist lang: Medikamente^[:], Architektur, Infrastruktur und Transport, sogar die Anzahl öffentlicher Toiletten oder die Einstellung der Temperatur in Gebäuden sind an Männern orientiert.^[:] Was wir als normal empfinden, ist oftmals nicht gleichermaßen für die weibliche Hälfte der Bevölkerung konzipiert. Ein Umdenken ist dringend notwendig. Daher begrüße ich in jeder Form den Vorstoß von Katharina Fegebank.

Sind ja nur Frauen

Die entstandene öffentliche Diskussion ist meiner Ansicht nach geeignet, einen gewissen Druck auf Unternehmen auszuüben, ihre Praxis in dieser Hinsicht zu ändern und endlich Frauen gleichermaßen zu berücksichtigen. Doch das wird dauern und solange Menschen die Bild lesen und mit Sätzen à la „Wenn es nach Gleichstellungssenatorin Katharina Fegebank (44, Grüne) geht, sind Frauen offenbar zu dumm und ungeschickt, um einen Autositz einzustellen, oder den Gurt.“^[:] bestrahlt werden, solange wird sich daran auch nichts ändern. Sind ja nur Frauen.

Spannend zu dem Thema:

• https://www.spiegel.de/kultur/frauenfeindliche-alltagsnormen-warum-sind-maenner-das-mass-aller-dinge-a-00000000-0002-0001-0000-000169240337
• https://www.ardmediathek.de/video/herstory/herstory-1-4-lebensgefahr-frauen-und-medizin/das-erste/Y3JpZDovL3dkci5kZS9oZXJzdG9yeS80NzczNTlhMC0wZmIxLTRiOTgtYjM3ZC0zYmQwYzRmOTJiODQ/
• https://www.54books.de/unsichtbare-frauen-was-daten-nicht-erzaehlen/