Warum ich Nazis bei mir zu Hause habe
Täglich sehen sie mich an und ich kann nichts gegen machen. Warum das so ist, fragst du dich?

Jeden verdammten Tag seit vielen Jahren sehe ich sie. Otto Palandt und Heinrich Schönfelder kommen dir bekannt vor? Dann bist du vermutlich Jurist, Jurastudent oder hast sonst irgendwie mit Recht zu tun. Die beiden Standardwerke des Verlages C. H. Beck aus München sind leider unumgänglich in der Juristerei. Leider. Denn beide haben eine ekelhafte Gemeinsamkeit: Sie tragen die Namen ranghoher Nazis.
Heinrich Ernst Schönfelder
Heinrich Ernst Schönfelder war deutscher Jurist, Offizier in der NS-Luftwaffe, Autor und Herausgeber. Er begründete unter anderem die Buchreihe „Prüfe Dein Wissen“ als Teil der bis heute bestehenden juristischen Ausbildungsliteratur. 1931 brachte Schönfelder die noch heute mit ihm betitelte Gesetzessammlung Deutsche Reichsgesetze, heute als Deutsche Gesetze bekannt. In einem roten Ordner sind dabei eine Auswahl verschiedener Gesetze (z. B. das BGB, das StGB, die ZPO und weitere) auf sehr dünnem Papier gedruckt und nummeriert abgeheftet. Regelmäßig kommen die aktuellen Gesetzesänderungen per Post und müssen dann mühsam händisch einsortiert werden.
Die eigentliche Neuerung liegt allerdings in den Überschriften zu den Paragrafen, die Schönfelder einführte. So kam es, dass über dem § 433 BGB seit dem die Überschrift „Vertragstypische Pflichten beim Kaufvertrag“ steht. Eigentlich eine gute Idee wäre da nicht die grausame Zeit der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft gewesen. Dieser war Schönfelder alles andere als abgeneigt. Bereits 1933 trat er der NSDAP bei und arbeitete sich im System des NS-Unrechtsstaats hoch bis zum Kriegsgerichtsrat bei deutschen Kriegsgerichten in Italien.1
Die Karriere des Nationalsozialisten Schönfelder spiegelte sich auch in seinem Werk wider. So beginnt bis heute die Ordnung im Schönfelder mit der Ordnungsnummer 20 für das deutsche BGB. Die Nummern 1-19 waren den NS-Verbrechergesetzen vorbehalten. So war das Parteiprogramm der NSDAP, das von Schönfelder bewusst die Ordnungsnummer 1 erhielt. Die Nummern 1-19 beinhalteten die Nürnberger Rassegesetze, welche die Vorstufe zur systematischen Ermordung von rund 6 Millionen Menschen führte.
Otto Palandt
Otto Palandt war ebenfalls Jurist zur Zeit der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft. Er war als Präsident des NS-Reichsjustizprüfungsamtes einer der einflussreichsten Juristen zur NS-Zeit. In seiner Position als Präsident des NS-Reichsjustizprüfungsamtes bestimmte er die Ausbildung der Juristen im Dritten Reich maßgeblich mit. Bereits am 1. Mai 1933 trat er der NSDAP bei.
„Dazu gehört vor allem die ernsthafte Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus und seinen weltanschaulichen Grundlagen, mit dem Gedanken der Verbindung von Blut und Boden, von Rasse und Volkstum […]. Auch in der mündlichen Prüfung haben die völkischen Grundlagen des neuen Staates, seine Geschichte und Weltanschauung den gebührenden Platz neben dem juristischen Wissen erhalten.“
- Otto Palandt, 1935. Fand Einfluss in § 14 Absatz 4 i. V. m. § 4 Absatz 2 JAO von 19343
Neben seinem Wirken in der Juristerei zur Zeit der NS-Verbrecher wurde Palandt 1939 Herausgeber des neuen BGB-Kommentars in der Kurzkommentar-Reihe des Verlags C. H. Beck. Vorher war dies der jüdische Verleger Otto Liebmann, dessen Vermögen durch die NS-Verbrecher gestohlen wurde und dessen Töchter kurz nach seinem Tod deportiert und ermordet wurden.

Und heute?
Der Verlag C. H. Beck weigert sich bis heute, diese beiden Werke umzubenennen. Der Verlag profitierte damals massiv von der NS-Zeit. So brachte der Verlag beispielsweise 1936 ein Kommentar zum Blutschutzgesetz von den beiden NS-Funktionären Wilhelm Stuckarts und Hans Globkes heraus.4
Der Verlag C. H. Beck scheute sich nicht im Geringsten, NS-Kampfschriften zu veröffentlichen und machte Profit aus der schrecklichen, menschenverachtenden Ideologie der Nationalsozialisten.
Der Verlag C. H. Beck zeigt kein Interesse an der Aufarbeitung seiner Geschichte. Die Werke, die zu NS-Zeit Propaganda, Hass und menschenfeindliche Schriften enthielten, setzt der Verlag weiter erfolgreich bis heute profitabel fort. Ein Vorwort oder eine Aufarbeitung in Form von Hinweisen auf die Vergangenheit erfolgt nicht.
Der Verlag C. H. Beck konnte sein heutiges Monopol auf dem Markt der juristischen Fachliteratur nur dank der nationalsozialistischen Diktatur aufbauen. Der Verantwortung aus dieser Vergangenheit wird der Verlag bis heute nicht gerecht. Stattdessen stellt sich der Verlag mit zweifelhaften Begründungen sogar durch in Schutz nehmen des Nazis Palandt.5
Dieses Jahr gab der bayrische Justizminister Georg Eisenreich eine Studie zur wissenschaftlichen Aufarbeitung über Otto Palandt und Heinrich Schönfelder in Auftrag.
Die von Heinrich Ernst Schönfelder begründete Gesetzessammlung ist bis heute Standardwerk, nach dem Nazi Schönfelder benannt und in der juristischen Ausbildung die einzige für Prüfungen zugelassene Gesetzessammlung im Zivilrecht.
Der Kurzkommentar, dessen Herausgeber Otto Palandt wurde, ist bis heute Standardwerk, nach dem Nazi Palandt benannt und in der juristischen Ausbildung der einzige für Prüfungen zugelassene Kommentar.
Besonders wir Juristen sollten uns der Verantwortung, die wir tragen, bewusst sein. Kaum ein Berufsstand ist so stark in die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten eingeflochten gewesen. Kaum ein Berufsstand ist sich seiner Vergangenheit gleichzeitig so unbewusst. Es wird Zeit, dass auch die Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus im Studium ausreichend berücksichtigt wird. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit der Literatur, die bei jedem Juristen im Regal steht und der Geschichte dahinter. Ich persönlich empfinde es als Schande, dass noch heute die Namen bekennender Nationalsozialisten auf dem Tisch jedes Richters stehen.
Es wird Zeit: Palandt umbennen!
Lesenswert zu dem Thema:
- https://www.deutschlandfunk.de/braune-juristen-fuer-den-rechtsstaat.724.de.html?dram:article_id=100534
- https://www.bmjv.de/SharedDocs/Publikationen/DE/Rosenburg_Symposium_2.pdf?__blob=publicationFile&v=9
Quellen:
- https://www.welt.de/debatte/kommentare/article114087596/Nazi-Erbe-lebt-bis-heute-im-deutschen-Recht.html
- https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/68999/nuernberger-gesetze
- https://www.bmjv.de/SharedDocs/Publikationen/DE/Rosenburg_Symposium_2.pdf?__blob=publicationFile&v=9
- https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/juristische-verlage-nationalsozialismus-ideologie-erbe-verantwortung/
- https://www.sueddeutsche.de/bildung/jurastudium-warum-ein-nachschlagewerk-zum-bgb-nach-einem-nazi-benannt-ist-1.4131656