Telegram und irgendwas mit Namen
Seit Wochen ist Telegram in aller Munde. Viele Menschen mit etwas Pech beim Denken beziehen ihre Ideologie inzwischen aus der Plattform. Hilft uns eine Klarnamenpflicht weiter?

Was ist Telegram
Schon hier scheiden sich die Geister. Für die kognitiv unmöblierten Corona-Leugner scheint es so etwas wie die Encyclopædia Britannica für ihr verqueres Weltbild zu sein, für andere ist es einfach ein weiterer Messenger neben WhatsApp, Signal und vielen anderen. Doch was steckt hinter dem Phänomen und kannst du Telegram vertrauen? Finden wir es heraus!
Telegram wurde 2013 von Pawel Walerjewitsch Durow, einem russischen Unternehmer, zusammen mit seinem Bruder Nikolai gegründet. Beide hatten vorher schon große Bekanntheit als Gründer des sozialen Netzwerks vk.com erreicht, welches sich hauptsächlich in Osteuropa und Russland großer Beliebtheit erfreut. Die Anteile an vk.com verkaufte Durow an einen Verbündeten Putins. Mit Telegram wollte Durwo nach eigenen Angaben eine Möglichkeit schaffen, sicher vor staatlicher Einflussnahme zu kommunizieren.[:]
Telegram ist aufgeteilt in einen proprietären Server, dessen Quellcode nicht bekannt ist, einer offenen API zur Kommunikation mit dem Server und verschiedenen quelloffenen Anwendungen wie beispielsweise einer Android-App. Daraus folgt aber auch, dass die Sicherheit der Daten auf dem Server oder was mit diesen gemacht wird, nicht überprüft werden kann.[:]
Prinzipiell scheint aber die eingebaute Verschlüsselung von Telegram vom Klienten zum Server und zurück gut zu funktionieren. Die Schwachstelle ist jedoch der Server selbst, auf dem von allen Chats, Fotos und sonstigen Dateien eine Kopie vorhanden ist und zusätzlich eine Verknüpfung dieser privaten Daten mit der Handynummer und damit den Personalien der Nutzer erlaubt. Ob und wie weit Telegram das macht, das weiß keiner und das ist ein wesentliches Problem von Telegram. Hier unterscheidet sich Telegram nur minimal von WhatsApp und anderen nicht offenen Messengern.[:]
Das Problem Hildmann
Große Bekanntheit erreichte Telegram bei uns vor allem durch die diversen Berichte über die Schwurbeleien des Autors veganer Kochbücher und ehemaligen Geschäftsmannes Attila Klaus Peter Hildmann.[:] Dieser fing an fleißig alle möglichen Verschwörungstheorien zu verbreiten. Als Basis nutze er dafür die Kanal-Funktion von Telegram, bei der eine Person Beiträge an eine Vielzahl von Menschen schicken kann. So erreichte Hildmann problemlos einige tausend Menschen.[:]
Hildmann leugnete dabei nicht nur die Existenz des Corona-Virus (weitere Beiträge von mir zu dem Thema Corona findest du hier zusammengefasst: Corona-Informationen), sondern fiel vor allem durch antisemitische und volksverhetzende Aussagen auf. Inzwischen werden ihm 80 Straftaten vorgeworfen.[:] Hildmann, der sich inzwischen in der Türkei versteckt, begeht auch weiterhin auf seinen Telegram-Kanälen Straftaten.[:]

Brauchen wir eine Klarnamenpflicht?
Diese Frage wurde in letzter Zeit oft in den Medien aufgeworfen. Besonders Schäuble glänzte dabei mit haufenweise Unwissenheit und dem, was der Autor Sascha Lobo treffend als Digitalesoterik bezeichnete[:]. Doch worum geht es überhaupt? Diskutiert wird die Forderung, dass die anonyme Internetnutzung nicht mehr erlaubt sein soll. Schäuble sieht darin ein Allheilmittel für Straftaten im Netz und auch Horst Seehofer sprang schnell auf den Zug auf und forderte sogar einen Zwang zur Identifikation mit dem Ausweis.[:]
Doch das ist ein Irrweg. Schäuble verkennt absolut, wo das eigentliche Problem liegt. So postete Hildmann durchgehend unter seinem Klarnamen. Auch mir begegnen häufig Straftaten im Netz und diese geschehen in der Regel unter dem echten Namen. Das Problem liegt nicht in der Identifikation der Straftäter, sondern im Willen der Verfolgungsbehörden dagegen auch vorzugehen. Doch selbst wenn dies klappen würde, so würde spätestens am Willen von Telegram das ganze Vorhaben scheitern. In Dubai wird eine Rechtsdurchsetzung für deutsche Behörden wohl nicht so leicht möglich sein.[:]
Und selbst bei WhatsApp und Facebook findet keine effektive Rechtsdurchsetzung statt. Dort sind ebenfalls die meisten Leute mit Klarnamen unterwegs und im Gegensatz zu Telegram hat das Unternehmen hinter den Diensten seinen Sitz in der EU.
Ein weiteres Problem durch eine Klarnamenpflicht besteht darin, dass für eine Vielzahl echter Aktivisten ihre Arbeit nicht mehr möglich wäre. Auf Netzpolitik.org finden sich weitere Informationen zu dem Thema: https://netzpolitik.org/tag/klarnamenpflicht/

Also was tun?
Wer wirklich sicher kommunizieren möchte, der greift auf Signal zurück. Der Messenger ist sowohl Server-, als auch Clientseitig Open-Source und damit für jeden überprüfbar. Die Verschlüsselung ist zuverlässig und sicher und zudem stecken keine Unternehmen mit Gewinninteressen dahinter, sondern eine große Community, die in der Freizeit an dem Projekt arbeitet sowie eine große Anzahl von Spendern. Eine Klarnamenpflicht führt uns nicht weiter. Auch Telegram ist nicht alleinig schuld an Straftaten, die dort passieren. Es ist das Versagen der deutschen Behörden, die trotz vorhandener Daten nicht in der Lage sind, effektiv zu handeln.