Straffrei Schwarzfahren? Warum es kein 0€ Ticket geben wird

Die Entkriminalisierung vom Schwarzfahren wird schon lange diskutiert. Erst kürzlich entfachte die SPD-Fraktion die Diskussion erneut. Warum das sinnvoll ist, das zeige ich euch heut.

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von Dersim
19.10.2023


Die SPD-Fraktion will das Fahren ohne Fahrschein im öffentlichen Nahverkehr entkriminalisieren.[:] Neu ist die Idee nicht. Schon lange vor der SPD forderten auch unter anderem die Grünen die Entkriminalisierung.[:] Eine dringend nötige Reform!

Wie ist die Lage?

Wenn du derzeit ohne Ticket mit der Bahn fährst, dann verstößt du gegen zwei Dinge: Gegen die Beförderungsbedingungen des Unternehmens, das die Bahn betreibt und möglicherweise auch gegen den Straftatbestand des Erschleichens von Leistungen.

1. Beförderungsvertrag

Du schließt öfter Verträge, als du denkst. Ein Vertrag kann nämlich auch durch stimmiges Verhalten geschlossen werden. Du könntest zum Bäcker gehen, auf eine Brezel zeigen, der Verkäufer könnte sie dir wortlos verpacken und über den Tresen reichen und du legst dein Geld in die Schale an der Kasse. Ohne ein Wort zu sagen, wurden vier Willenserklärungen abgegeben und zwei Rechtsgeschäfte getätigt und einen Vertrag geschlossen.

Genau so kannst du auch einen Vertrag mit der DB schließen, in dem du einfach in den Zug steigst.


Dieser Beförderungsvertrag, meist Beförderungsbedingungen genannt, enthält in der Regel eine Klausel, in der festgelegt wird, wie und wann ein erhöhtes Beförderungsentgelt erhoben wird.⁤d3b⁤ Diesen Beförderungsbestimmungen stimmst du durch das Einsteigen, zum Teil auch Betreten des Bahnsteiges, zu. Zu unterscheiden ist dieser von dem eigentlichen Beförderungsvertrag, den du zum Beispiel beim Kaufen eines Tickets abschließt. Das Unternehmen ist dank einer Bundesverordnung (§ 9 BefBedV) dazu berechtigt, so eine Vertragsstrafe festzulegen. Diese liegt meist bei 60€ plus dem Ticketpreis.

Bald kostenlos? Deutscher ÖPNV
Bildquelle: Markus Winkler/Pexels

2. Erschleichen von Leistungen

Ein Straftatbestand, geregelt in § 265a StGB, mit einer Strafandrohung von bis zu einem Jahr Gefängnis oder Geldstrafe. Dieser wird recht leicht erfüllt. Es reicht im Prinzip, wenn jemand wie ein normaler Fahrgast fährt, aber eben kein Ticket gelöst hat. Diese Rechtsprechung zu Anwendung des Straftatbestandes ist sehr umstritten, aber leider gang und gäbe.

Der Fall

Das Problem liegt darin, was passiert, sobald jemand deshalb strafrechtlich verfolgt wird. Nehmen wir als Beispiel die Birgit. Die Birgit ist 50, arbeitsunfähig aufgrund einer schweren chronischen Erkrankung und dementsprechend finanziell sehr schlecht aufgestellt. Die Birgit möchte jetzt zu ihrem Facharzt, ein echter Spezialist auf dem Gebiet ihrer Erkrankung, hat seine Praxis bedauerlicherweise drei Städte weiter. Die Birgit hat natürlich kein Auto, denn Subventionen gibt's nur für Firmenwägen dank des Dienstwagenprivilegs. So muss die arme Birgit mit der Bahn fahren. Also ab zum Automaten und was sieht die Birgit da? 10,90€? Es ist der 28. im Monat. Das Konto leer. Verdammt. Also doch volles Risiko. Wird schon gut gehen.

Ihr ahnt es schon, wird es nicht. Die Birgit wird erwischt. Ohne gültigen Fahrschein. Es folgen: Rechnung der Bahn über das erhöhte Beförderungsentgelt. 70,90€. Und eine Anzeige, Vorladung und jetzt sitzt sie da. Der Staatsanwalt erzählt was, der Richter hört ihr aufmerksam zu. Sie kennt das ganze. Bereits vor zwei Monaten ging es ihr so. Irgendwas von „kein Auge mehr zudrücken“. Es folgt die Strafe: 15 Tagessätze zu je 10€. Woher soll sie die 150€ nehmen? Dazu die 70,90€, die die Bahn schon seit Wochen fordert. Birgit kann nicht zahlen. Das Konto ist noch immer leer.


Es folgen Fristen, Zahlungsvereinbarungen, Gespräche mit der Staatsanwaltschaft. Keine Chance, das Geld zusammenzubekommen. Es kommt, wie es kommen muss.

Ersatzfreiheitsstrafe

Die Ersatzfreiheitsstrafe ist ein ziemlich grausames Instrument im deutschen Strafrecht. Wird eine Geldstrafe verhängt, dann erfolgt die Strafe in Tagessätzen. Ein Tagessatz entspricht dabei in etwa dem Einkommen, das die Person an einem normalen Tag durchschnittlich verdient.


Kann oder will die Person diese Strafe nicht bezahlen, so wird als Ersatz für die Geldstrafe für jeden Tagessatz der Geldstrafe diese in einen Tag Gefängnis umgewandelt. Unsere Birgit muss also für 15 Tage ins Gefängnis. In Bayern sind fast 7,5% der Leute im Gefängnis genau deshalb dort.[:]

Birgit im Knast. Nur, weil das Ticket zu teuer war.
Bildquelle: RDNE Stock project/Pexels

Geld

Die Birgit hat nicht nur kein Geld, nein, sie kostet jetzt vor allem eine Unmenge Geld. Und zwar uns allen. Steuergeld. Die Birgit kann sich kein Ticket leisten, also woher sollte sie die Prozesskosten oder ihren Anwalt bezahlen können? Sie kann sich ja nicht mal das Ticket für 10,90€ leisten. Wir reden von Millionen Steuergeld.

Das 0€-Ticket?

Aber fährt dann nicht jeder einfach kostenlos? Nein, natürlich nicht. Die Vertragsstrafe steht nämlich nicht zur Disposition. Es geht in den Vorschlägen nur darum, dass Fahren ohne Fahrschein, wie das Parken ohne Parkschein für Autofahrer nur eine Geldstrafe nach sich zieht. Es soll entkriminalisiert werden, also die Straftat wegfallen, aber weiterhin sollen die 60€ + Ticketpreis erhoben werden können.

Nein. Das ist falsch.

1. Hat der Kontrolleur da bisher auch keine echte Handhabe und muss die Polizei zur Hilfe rufen, wenn die Person nicht freiwillig den Personalausweis herausrückt. § 229 BGB, welcher hier gewisse Möglichkeiten eröffnet, ist nicht betroffen.

2. Ist die Polizei auch für die Aufnahme von Personalien bei zivilrechtlichen Ansprüchen und zur Sicherung dieser zuständig.

Warum sollte das so sein? Zudem zeigen Untersuchungen, dass höhere Strafen bei vielen Delikten nicht zu einer Reduktion der Straftaten, die begangen werden, führen. So auch hier. Wer jetzt schwarz fährt, der wird es in Zukunft auch. Wer jetzt ein Ticket hat, der wird es auch in Zukunft. Die kleine Menge dazwischen, da reden wir von wenigen Tausend Menschen. Davon viele, die sowieso kein Geld haben. Die haben es jetzt nicht und dann auch nicht. Kurz gesagt: Es wird sich nicht wirklich was ändern.

Nein. Der ÖPNV wird momentan schon zum allergrößten Teil durch Steuergeld finanziert. ÖPNV ist eine öffentliche Staatsaufgabe und das ist auch gut so. Auf der anderen Seite würden das Entkriminalisieren Unmengen Steuergeld einsparen.

Die in Rechnung gestellten Gerichtskosten decken nicht im Ansatz, was so ein Verfahren tatsächlich kostet. Ein Anwalt, ein Richter, ein Staatsanwalt, jeder mit einem Spitzengehalt. Justizvollzugsbeamte, Geschäftsstellen, Protokollperson, Beamte im Vor- und Nachgang. Alleine der Termin für das Urteil ist teurer als einige Jahre kostenlos Bahn fahren für die Person. Der Nutzen steht nicht in Relation zum Gewinn für die sehr zweifelhafte Gerechtigkeit.


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