Lira goes...
Lira goes... naja, wohin, das ist die große Frage. Aber wie lebt es sich in einem Land mit starker Inflation?

İstanbul, wunderschön, groß, alt und, naja, und günstig. Zumindest für ein deutsches Einkommen sogar sehr günstig. Merklich steigen von Tag zu Tag die Preise in den Supermärkten. Zumindest für die Einheimischen. Milliarden aus der Staatskasse verlangsamen diesen Anstieg etwas, aber trotzdem sind die Folgen verheerend.
Nahezu keiner der Menschen zwischen 20 und 30, mit denen ich hier gesprochen habe, ist schuldenfrei. Die Kreditkarte ist ständige Begleiterin bei jedem Einkauf. Bargeld wurde hier zu einem großen Teil verdrängt. Eigentlich eine wünschenswerte Entwicklung, aber der Hintergrund ist traurig. Die Preise ändern sich schlicht zu schnell, als dass man größere Mengen Bargeld haben will. Wer kann, der hat sein Geld in einer Fremdwährung auf der Bank oder unter dem Kopfkissen. Das Misstrauen in den Staat und entsprechend auch in die Banken ist groß. Viele fürchten, dass die Regierung versuchen könnte, auf diese Fremdwährungsreserven der Bevölkerung zuzugreifen.
In den letzten 12 Monaten legte die Türkische Lira eine rasante Talfahrt hin. So kann ich mich an eine Zeit erinnern, in der ein Euro grob zwei Lira waren. Jetzt rechne ich hier mit 100 Lira, die etwa 5 Euro entsprechen. So kostet, Stand heute, hier ein gutes Frühstück bestehend aus Menemen (das türkische Pendant zu Shakshuka) ein bis zwei Tee, eventuell einem Stück Kuchen ungefähr 120-140 türkische Lira. Das sind ungefähr 6 Euro. Eine Dose Coca-Cola kostete bei meiner Ankunft Anfang Januar je nach Laden ca. 9,50 TL. Heute sind es jedoch bereits 10,75 TL. Ein kleiner Anstieg, aber in Relation zu den örtlichen Löhnen, die nicht im gleichen Maße steigen, verheerend in ihren Auswirkungen. Kaum ein Lokal hier hat eine Speisekarte ohne einen Haufen Klebestreifen mit neuen Preisen übereinandergestapelt. Die Lira verfällt schnell.
Zusätzlich wird dieses Problem dadurch verstärkt, dass extrem viele Preise und Kosten hier direkt an den Euro oder US-Dollar gekoppelt sind. Nicht selten wird beispielsweise die Miete oder Raten für Kredite in Dollar entrichtet, das Einkommen wird aber in Lira ausbezahlt. Ein Teufelskreis. Hinzu kommt, dass viele Produkte in der Türkei aufgrund schlechterer Handelsbeziehungen hier teurer sind als in Deutschland. Dies ist zum Beispiel bei besonders teuren Produkten merklich.
So kostet der DYSON Supersonic HD07 Haartrockner Anthrazit/Fuchsia (1600 Watt) in Deutschland 428,99 €.[:] Das gleiche Produkt kostet in der Türkei Stand heute umgerechnet 438,47 Euro.[:] Ein Unterschied von ca. 10 €, der marginal wirken mag, aber für die Bevölkerung hier einem kompletten Mittagessen mit Getränken, Vorspeise und Dessert im Restaurant entspricht.

Eine der Hauptursachen hierfür liegt in der Finanzpolitik der Türkei. Der örtliche Diktator setzt dabei auf die Hilfe von „Gott“. An Geister zu glauben, hat jedoch nur selten sinnvolle Wirtschaftspolitik zur Folge gehabt. So ist beispielsweise ein übliches Instrument, bei hoher Inflation den Leitzins anzuheben.[:] Dies passt jedoch nicht in Erdoğans Ideologie.[:] Das Ganze ist absolut fatal für die Bevölkerung und äußert sich zum Beispiel darin, dass ich in meiner Zeit hier kaum Leute gesehen habe, die was anderes als Tee zum Essen bestellt haben. Früher war zumindest ein Wasser oder eine Cola wie bei uns gang und gäbe. Auch sieht man kaum noch Leute mit Getränkedosen auf der Straße umherlaufen. Was für die Umwelt gut ist, das ist hier vor allem ein Zeichen der Sparmaßnahmen der Bevölkerung. Es ist schlicht zu teuer. In zahlreichen Gesprächen mit Einheimischen in meinem Alter wurde auch eine weitere Folge der Inflation deutlich: Das soziale Leben leidet sehr! Der Kaffee mit Freunden am Wochenende ist eine finanzielle Herausforderung geworden.